Ich sitze mit einer Bekannten in einem Café, trinke eine Tasse Tee und plaudere mit ihr, als sie mir plötzlich ihr Handy unter die Nase hält und breit grinsend sagt: „Schau mal, ist das nicht klasse.“ Ich blicke auf das Display und sehe eine alte, faltige Frau mit grauen Haaren. Ich muss mehrmals hinschauen, bis ich erkenne, dass es meine Bekannte ist. Bevor ich nur ein Wort sagen kann, sprudelt es aus ihr heraus. „Das ist eine geniale App, sie erschafft ein Bild von dir in 30 Jahren. Ist doch toll.“
Was daran so toll sein soll, kann ich gerade nicht erkennen. Die Bilder sind vielleicht realistisch, aber auf keinen Fall schmeicheln sie der Person.
Nachdem ich erste Erfahrungen mit den sekundenschnellen Alterungsprozess gemacht habe, begegnet er mir überall. In den sozialen Netzwerken wimmelt es plötzlich nur so von alten Frauen und Männern und ich frage mich, was da nur los ist.
Sonst begegnen mir eher Fotos auf denen sich jeder bestmöglich darstellt. Die Schokoladenseite wird fotografiert, der Bauch eingezogen, über die Falten im Gesicht wird ein Filter gelegt, der Körper wird mit Shapeware geformt, so dass alles an der richtigen Stelle sitzt. Es wird permanent gepostet, was man heute gegessen hat, wie viel man sich bewegt hat, was man erlebt hat und wie gut es einen doch gerade geht. Jeder ist toll, hipp, cool, smart, eloquent und gutaussehend und wer es nicht ist, stellt sich zumindest so dar.
Und plötzlich freuen sich Menschen darüber, dass sie alt, faltig, grau, haarlos und runzelig sind.
Ich frage mich, was bewegt sie dazu. Es ist klar, dass wir mit jedem Tag unsers Lebens älter werden und ich freue mich immer wieder, wenn ich ältere Menschen treffe, denen man ansieht, dass sie gelebt haben und etwas erlebt haben. Ich meine die Menschen, die rüstig sind und die das Leben trotz kleiner Wehwehchen und Fältchen genießen. Mit jedem Jahr werden sie älter und vielleicht ein wenig gelassener und weiser. Diese Menschen sind mir lieber, als die Mitmenschen die Massen von Botox in ihrem Gesicht, die zentimeterdicke Schminkschicht, die künstlich eingeklebten Wimpern und Haare mit sich tragen und die ein Regenschauer zum Monster machen könnte.
Als meine Bekannte mich fragt, ob sie mich auch altern lassen soll, verneine ich dankend. Ich möchte nicht wissen, wie ich mit 75 Jahren aussehe, das werde ich noch früh genug erfahren und bis dahin genieße ich meine Tage auf Erden und warte auf die ersten Falten und grauen Haare.
Joachim Fuchsberger hat ein Buch geschrieben: „Alt werden ist nichts für Feiglinge.“ Wenn ich mir die Bilder in den sozialen Netzwerken ansehe, kann ich dieser Aussage nur zustimmen. Menschen, legen die Maske ab und zeigen sich von einer ganz anderen Seite.
Vielleicht ist der Reiz dieser App, dass man in Sekunden altert und sich dann um so mehr über sein aktuelles Bild freut. Vielleicht schmeichelt sie dem Ego, da wir ja alle wissen, das wir ja noch ein paar Jahre Zeit haben, bis es soweit ist. Vielleicht gibt es ein gutes Gefühl, dass wir die Macht haben uns auf Knopfdruck alt und wieder jung zu machen. Vielleicht ist es auch die geheime Sehnsucht, sich um das Äußere nicht allzuviele Gedanken machen zu müssen. Vielleicht ist es auch reine Neugier oder purer Freude.
Was auch immer es ist, dieses neue appbasierte Spielzeug erschließt sich mir nicht.
Doch ich bin jetzt schon gespannt, wenn ich einige der Protagonisten in 30 Jahren wieder sehe. 😉 Daher speichere ich mir ihre Bilder bei Facebook schon mal auf meiner Festplatte…
Bleiben Sie fit und gesund und freuen Sie sich des Lebens 🙂
Herzliche Grüße
Alexandra Karr-Meng